Foto: © iStock/​RapidEye


Die is­rae­li­sche Or­ga­ni­sa­ti­on Wheel­chair of Ho­pe hat ei­nen Roll­stuhl ent­wor­fen, der in 3D-Druck ge­fer­tigt wird und ge­ra­de mal 100 US-Dol­lar kostet. 

Was kann die Medizin von morgen?

Künst­li­che In­tel­li­genz ist ein zen­tra­les Zu­kunfts­the­ma im Ge­sund­heits­we­sen. Ge­rald Gaß, Vor­stands­vor­sit­zen­der der Deut­sche Kran­ken­haus­ge­sell­schaft, spricht aus, was vie­le der­zeit in der Me­di­zin be­wegt. Das Ver­trau­en auf „Dr. Al­go­rith­mus“, wie Jo­chen A. Wer­ner von der Uni­ver­si­täts­me­di­zin Es­sen das ra­sant wach­sen­de KI-Po­ten­zi­al nennt, tei­len auch Me­la­nie Wend­ling vom Bun­des­ver­band Ge­sund­heits-IT und der Mo­del­lie­rungs­spe­zia­list Fa­bi­an Theis vom Helm­holtz-Zen­trum Mün­chen – was hof­fen lässt, auch für den Kampf ge­gen Dia­be­tes oder Krebs. Da­bei den Men­schen nicht aus den Au­gen zu ver­lie­ren? Für den Arzt und Wis­sen­schaft­ler Diet­rich Grö­ne­mey­er kein Selbst­läu­fer. Das Be­hand­lungs­zim­mer von mor­gen öff­net sei­ne Pfor­ten hier.

Claudia Crocini 

DZHK-Nach­wuchs­grup­pen­lei­te­rin an der Cha­ri­té und Gast­wis­sen­schaft­le­rin am Max Del­brück Center 

Foto: Max Delbrück Center/​Felix Petermann

Das Geschlecht macht den Unterschied

Die meis­ten Men­schen ster­ben an ei­ner kar­dio­vas­ku­lä­ren Er­kran­kung – Frau­en und Män­ner. Je äl­ter wir wer­den und je hei­ßer die Som­mer auf­grund des Kli­ma­wan­dels sind, des­to mehr ma­chen uns Herz und Kreis­lauf zu schaf­fen. Auch bei Frau­en ver­ur­sa­chen kar­dio­vas­ku­lä­re Er­kran­kun­gen je­des Jahr ein Drit­tel der To­des­fäl­le. Den­noch wer­den Frau­en tra­di­tio­nell von kli­ni­schen Stu­di­en aus­ge­schlos­sen, häu­fig falsch dia­gnos­ti­ziert und im Ver­gleich zu männ­li­chen Pa­ti­en­ten un­zu­rei­chend be­han­delt. Die Grund­la­gen­for­schung ver­nach­läs­sigt das bio­lo­gi­sche Ge­schlecht oft eben­falls. Die Me­di­zin der Zu­kunft schließt nie­man­den aus. In der For­schung wer­den wir das Herz von Frau­en und Män­nern un­ter­su­chen und da­bei auch an­de­re Fak­to­ren wie die Hor­mon­er­satz­the­ra­pie in den Wech­sel­jah­ren oder bei Per­so­nen in der Tran­si­ti­on, al­so der kör­per­li­chen Ge­schlechts­an­glei­chung, be­rück­sich­ti­gen. Com­pu­ter­ba­sier­te Si­mu­la­tio­nen kön­nen da­bei hel­fen, For­schungs­er­geb­nis­se an männ­li­chen Her­zen auf weib­li­che Her­zen zu über­tra­gen. Wenn wir das bio­lo­gi­sche Ge­schlecht in al­len Pha­sen der For­schung ein­be­zie­hen, kön­nen wir die sys­te­ma­ti­sche Be­vor­zu­gung von Män­nern in den Kli­ni­ken ab­bau­en. Wir ha­ben die gro­ße Chan­ce, die Be­hand­lung für die Hälf­te der Mensch­heit zu ver­bes­sern und bes­ser vor­zu­her­sa­gen, wie sich ei­ne Krank­heit im weib­li­chen Her­zen ent­wi­ckeln oder wie es auf ei­ne The­ra­pie an­spre­chen wird. 

Webfehler im System

Die Me­di­zin hat den Men­schen aus den Au­gen ver­lo­ren. Ge­sun­den kön­nen wir nur, wenn auch dem In­ne­ren, dem In­di­vi­du­el­len mehr Auf­merk­sam­keit ge­wid­met wird. Of­fen sein, sich Zeit neh­men, nicht von oben her­ab agie­ren, neu­gie­rig sein, den Men­schen in sei­ner Ge­samt­heit er­fas­sen – das ist die Grund­la­ge je­der Be­hand­lung. In die­sem Zu­sam­men­hang soll­te die Rol­le von Haus­ärz­tin­nen und Haus­ärz­ten als Ge­sund­heits­ma­na­ger wie­der ge­stärkt wer­den, weil sie ih­re Pa­ti­en­ten und de­ren Um­feld am bes­ten ken­nen. Sie sind die ers­ten An­sprech­part­ner für Er­krank­te, fun­gie­ren als Weg­wei­ser und bie­ten Hil­fe zur Selbst­hil­fe. Und – ganz wich­tig – auch den Kran­ken­schwes­tern und Kran­ken­pfle­gern als Co­pi­lo­ten der Haus­ärz­tin­nen und Haus­ärz­te soll­ten weit­rei­chen­de­re Auf­ga­ben über­tra­gen wer­den. Geld ist in un­se­rem Me­di­zin­sys­tem reich­lich vor­han­den, nur muss es sinn­stif­tend um­ge­lei­tet wer­den. Et­wa da­durch, dass die Stär­ken von Schul­me­di­zin, Na­tur­heil­kun­de, Psy­cho­lo­gie und Psy­cho­so­ma­tik zu­sam­men­ge­führt wer­den. Un­ter dem Aspekt der Prä­ven­ti­on wä­re es gut, mehr in Ge­sund­heits­kun­de als Schul­fach zu in­ves­tie­ren. Das wür­de nach­hal­ti­ge Än­de­run­gen im Le­bens­stil be­wir­ken und so der Ge­sund­erhal­tung mehr die­nen als die bis­her üb­li­che Re­pa­ra­tur­me­di­zin. Statt über Kran­ken­haus­schlie­ßun­gen zu de­bat­tie­ren, soll­ten wir lie­ber nach­den­ken, ob Ge­sund­heits­zen­tren im Hin­blick auf Prä­ven­ti­on nicht mehr Sinn ma­chen wür­den und für rot­stift­ge­fähr­de­te Kran­ken­häu­ser neue Per­spek­ti­ven bieten. 

Dietrich Grönemeyer 

Arzt, Wis­sen­schaft­ler und Medizinunternehmer 

Foto: Laura Möllemann Photography

Kerstin Stemmer 

Pro­fes­so­rin für Mo­le­ku­la­re Zell­bio­lo­gie, Uni­ver­si­tät Augsburg 

Quantensprung in der Früherkennung

Wir wer­den im­mer äl­ter. Gleich­zei­tig hof­fen wir auf den Er­halt un­se­rer kör­per­li­chen und psy­chi­schen Ge­sund­heit bis ins ho­he Al­ter hin­ein. Da­für ist es wich­tig, mög­li­che Er­kran­kun­gen früh­zei­tig zu er­ken­nen, da­mit sie ef­fi­zi­ent be­han­delt wer­den kön­nen. Flüs­sig­bi­op­sien kön­nen da­bei künf­tig ei­ne ent­schei­den­de Rol­le spie­len: In ei­ner ein­fa­chen Blut­pro­be wer­den zir­ku­lie­ren­de Stof­fe be­stimmt, die ei­ner Er­kran­kung zu­ge­ord­net wer­den kön­nen. Die­ses Kon­zept ist zwar alt­be­kannt, er­fährt mit der Ent­wick­lung neu­es­ter mo­le­ku­lar­bio­lo­gi­scher Ana­ly­se­me­tho­den je­doch ei­nen Quan­ten­sprung. Ei­ne be­son­de­re Rol­le spie­len win­zi­ge mem­bra­n­um­hüll­te Teil­chen, die so­ge­nann­ten ex­tra­zel­lu­lä­ren Ves­ik­el. Sie wer­den aus al­len Kör­per­zel­len in das Blut frei­ge­setzt und ent­hal­ten ei­ne zell­ty­pi­sche Fracht aus Ei­wei­ßen, Fet­ten und Erb­ma­te­ri­al, die ein Ab­bild der ge­sun­den oder kran­ken Zel­le dar­stellt. In Zu­kunft wird man dank die­ser Teil­chen ei­nen Blick in ein­zel­ne in­ne­re Or­ga­ne wer­fen kön­nen und ih­ren Zu­stand mit­hil­fe von Blut­pro­ben wie­der­holt be­stim­men kön­nen. Krank­haf­te Ver­än­de­run­gen sind so früh sicht­bar. Di­gi­ta­le Tech­no­lo­gien und Künst­li­che In­tel­li­genz wer­den au­ßer­dem da­bei hel­fen, die kom­ple­xen Da­ten­men­gen die­ser Ana­ly­se­me­tho­de bei­spiels­wei­se mit hoch­auf­lö­sen­der Bild­ge­bung zu ver­knüp­fen. Krank­hei­ten wie Dia­be­tes, Krebs oder Alz­hei­mer kön­nen da­mit be­reits in der Ent­ste­hung er­kannt und in der Fol­ge bes­ser be­han­delt werden. 

Vieles wird möglich

Künst­li­che In­tel­li­genz ist ein zen­tra­les Zu­kunfts­the­ma im Ge­sund­heits­we­sen. KI hat das Po­ten­zi­al, Mit­ar­bei­ten­de in Kran­ken­häu­sern bei The­ra­pie­ent­schei­dun­gen, aber auch bei Pla­nung, Ma­nage­ment und Do­ku­men­ta­ti­on zu ent­las­ten, so­dass mehr Zeit für den Kon­takt mit dem Pa­ti­en­ten bleibt. KI-un­ter­stütz­tes Mo­ni­to­ring im Kran­ken­haus­in­for­ma­ti­ons­sys­tem kann Ri­si­ken auf Ba­sis der dort hin­ter­leg­ten Da­ten er­mit­teln. KI-ge­stütz­te Pri­mär- und Se­kun­där­prä­ven­ti­on ba­siert künf­tig auf Smart Wat­ches und Weara­bles. Auch bei Kern­auf­ga­ben wie Dia­gno­se, The­ra­pie­pla­nung und Ope­ra­tio­nen kann KI un­ter­stüt­zen. Be­reits heu­te ist hier die KI-un­ter­stütz­te Aus­wer­tung von Bild­be­fun­den in der Ra­dio­lo­gie und On­ko­lo­gie oder die Früh­erken­nung von Ri­si­ken in der In­ten­siv­me­di­zin wich­tig. Wei­te­re An­wen­dungs­fel­der sind das ro­bo­tik­un­ter­stütz­te Ope­rie­ren und die Aus­wer­tung von Ge­nom­da­ten in der per­so­na­li­sier­ten Me­di­zin. Deep Lear­ning, bei dem selbst­ler­nen­de kom­ple­xe neu­ro­na­le Net­ze auf Ba­sis von Trai­nings­da­ten ent­ste­hen, hat der KI zu neu­er Be­deu­tung ver­hol­fen. Ethi­sche und recht­li­che Fra­gen hin­sicht­lich Ver­ant­wor­tung und Da­ten­schutz müs­sen noch ge­klärt wer­den. Für me­di­zi­ni­sche Auf­ga­ben müs­sen häu­fig Trai­nings­da­ten vor­ge­ge­ben wer­den, die vor­ab von Ex­per­ten ge­sich­tet und klas­si­fi­ziert wor­den sind. Für an­de­re Auf­ga­ben kommt die Nut­zung von Rou­ti­ne­da­ten in­fra­ge. Hier spie­len die Be­reit­stel­lung von For­schungs­da­ten so­wie der kom­men­de EU-Ge­sund­heits­da­ten­raum ei­ne wich­ti­ge Rolle. 

Gerald Gaß 

Vor­stands­vor­sit­zen­der Deut­sche Kran­ken­haus­ge­sell­schaft (DKG)

Foto: DKG/​Georg J. Lopata

Digitalisierung

Die größten Hindernisse im deutschen Gesundheitswesen

Quel­le: Statista 

Janne-Finn Klöppen

Leser

Faktor Mensch

Die Me­di­zin von mor­gen bie­tet Chan­cen und Ri­si­ken. Tech­no­lo­gi­sche Fort­schrit­te und per­so­na­li­sier­te Me­di­zin kön­nen Le­ben ret­ten und die Le­bens­qua­li­tät ver­bes­sern. Doch be­steht die Ge­fahr, dass der Mensch als Pa­ti­ent zu­neh­mend Ob­jekt von Tech­no­lo­gie wird und Ge­sund­heits­da­ten miss­braucht wer­den. Es ist wich­tig, den mensch­li­chen Fak­tor zu be­rück­sich­ti­gen und Pa­ti­en­ten als In­di­vi­du­en zu be­han­deln. Nur so kön­nen wir si­cher­stel­len, dass der Mensch im Mit­tel­punkt der me­di­zi­ni­schen Be­hand­lung steht. 

Daten öffnen Türen

Die IT spielt be­reits heu­te ei­ne wich­ti­ge Rol­le in der Me­di­zin und wird dies auch in Zu­kunft bei der Un­ter­stüt­zung der me­di­zi­ni­schen For­schung, Dia­gno­se und Be­hand­lung tun. Na­tür­lich wird es wei­ter­hin mög­lich sein, Da­ten in Ak­ten­ord­ner zu sam­meln und zu sich­ten. Den me­di­zi­ni­schen Fort­schritt wird ei­ne sol­che Da­ten­samm­lung aber nicht wei­ter­brin­gen. Um das heu­ti­ge im­mense me­di­zi­ni­sche Wis­sen – das sich laut wis­sen­schaft­li­chen Un­ter­su­chun­gen be­reits vor fünf Jah­ren al­le 73 Ta­ge ver­dop­pelt hat – nut­zen zu kön­nen, müs­sen in der Ver­sor­gung Tä­ti­ge dar­auf zu­grei­fen kön­nen, al­so di­gi­ta­le In­for­ma­tio­nen ver­füg­bar sein. Wenn dann Al­go­rith­men die Da­ten ana­ly­sie­ren und in der Dia­gno­se un­ter­stüt­zen, spart der Be­han­deln­de zu­dem Zeit, um die rich­ti­gen Fra­gen zu stel­len. Denn in un­se­rer kom­ple­xen Welt wird es für die Ver­sor­gung der Be­völ­ke­rung im­mer wich­ti­ger, nicht nur ein­zel­ne Krank­hei­ten oder Ver­let­zun­gen zu se­hen, son­dern den Men­schen ganz­heit­lich zu be­trach­ten – und in den Kon­text der Re­gi­on oder des Lan­des zu set­zen. Wei­ter kann die Ana­ly­se gro­ßer Da­ten­men­gen da­zu bei­tra­gen, Mus­ter in der Ge­sund­heit und Krank­heit von Pa­ti­en­ten zu iden­ti­fi­zie­ren. Durch die Ana­ly­se die­ser Da­ten kön­nen Ärz­te prä­ven­ti­ve Maß­nah­men er­grei­fen und die Be­hand­lung von Pa­ti­en­ten ver­bes­sern. Nicht zu­letzt kann die 3D-Druck-Tech­no­lo­gie in der Me­di­zin ein­ge­setzt wer­den, um in­di­vi­du­el­le me­di­zi­ni­sche Ge­rä­te und Im­plan­ta­te her­zu­stel­len, die ge­nau auf den Pa­ti­en­ten zu­ge­schnit­ten sind. 

Melanie Wendling 

Ge­schäfts­füh­re­rin Bun­des­ver­band Ge­sund­heits-IT (bvitg)

Foto: bvitg

Jochen A. Werner 

Ärzt­li­cher Di­rek­tor und Vor­stands­vor­sit­zen­der Uni­ver­si­täts­me­di­zin Essen 

Foto: Universitätsmedizin Essen

Keine Angst vor Dr. Algorithmus

Ich bin da­von über­zeugt: Das Ge­sund­heits­we­sen zählt zu den gro­ßen Pro­fi­teu­ren KI ba­sie­ren­der Tech­no­lo­gien. Zum ei­nen or­ga­ni­sa­to­risch, was et­wa die Arzt-Pa­ti­en­ten-Kom­mu­ni­ka­ti­on an­be­langt. Arzt­brie­fe wer­den au­to­ma­tisch aus Elek­tro­ni­schen Pa­ti­en­ten­ak­ten und ak­tu­el­len Be­fun­den ge­ne­riert und in lai­en­ver­ständ­li­cher Spra­che für Pa­ti­en­ten ab­ge­fasst. Glei­ches gilt für Fach­in­for­ma­tio­nen an wei­ter­be­han­deln­de Me­di­zi­ner. Zum an­de­ren wer­den Prä­ven­ti­on, Dia­gnos­tik und The­ra­pie re­vo­lu­tio­niert. KI wird gro­ße Da­ten­vo­lu­mi­na und ak­tu­el­le For­schungs­er­geb­nis­se aus­wer­ten, nach Mus­tern su­chen und Zu­sam­men­hän­ge her­stel­len, die sich dem Men­schen in Brei­te und Tie­fe nicht mehr er­schlie­ßen kön­nen. Ge­ra­de weil Prä­ven­ti­on im­mer wich­ti­ger wird, er­ge­ben sich völ­lig neue Ho­ri­zon­te. Die Auf­ga­be der Me­di­zi­ner von mor­gen wird es sein, die Da­ten­fül­le mit­hil­fe der KI zu in­ter­pre­tie­ren, dar­aus kor­rek­te Maß­nah­men ab­zu­lei­ten und ih­re Pa­ti­en­ten mit der not­wen­di­gen Nä­he zu be­glei­ten. KI er­mög­licht zu­dem ei­ne re­le­van­te Stei­ge­rung bei der Pa­ti­en­ten­si­cher­heit, weil zum Bei­spiel Wech­sel­wir­kun­gen von Me­di­ka­men­ten un­ter­ein­an­der und Wirk­sam­kei­ten in Ab­hän­gig­keit von der in­di­vi­du­el­len Stoff­wech­sel­la­ge schnel­ler und prä­zi­ser er­kannt wer­den. Wir soll­ten al­les dar­an­set­zen, die Per­spek­ti­ven von KI für die Ge­sund­heit der Men­schen be­son­nen, aber ziel­ori­en­tiert zu nut­zen, statt neue di­gi­ta­le Tech­no­lo­gien wie­der klein­mü­tig mit dem be­währ­ten In­no­va­ti­ons­hem­mer „Da­ten­schutz“ auszubremsen. 

Neue Medikamente

Zwischen November 2019 und Ende 2023 sind 434 Zulassungen möglich

Quel­le: vfa 

Aus Utopien werden Visionen

Wenn je­der Mensch auf der Welt die Auf­ga­be be­kom­men wür­de, ein Ein­horn vor ei­nem Re­gen­bo­gen zu ma­len, kä­men ge­nau­so vie­le ver­schie­de­ne Bil­der her­aus, wie es Men­schen gibt. Denn je­der Mensch und da­mit je­des Bild ist ein­zig­ar­tig. In et­wa so kön­nen Sie sich auch die mensch­li­chen Zel­len vor­stel­len. Un­ser Kör­per be­steht aus bis zu 100 Bil­lio­nen Zel­len, die nicht nur vom Ty­pus va­ri­ie­ren, son­dern auch von Mensch zu Mensch. Und so ist auch der Raum der mög­li­chen Phe­no­ty­pen rie­sig. Mich in­ter­es­siert, wie man die­sen Raum mit Com­pu­ter­mo­del­len be­schrei­ben kann, um zum Bei­spiel zu ver­ste­hen, wie Zel­len mit­ein­an­der kom­mu­ni­zie­ren und wie sie Ge­we­be bau­en. Das ist wich­tig für Fra­gen aus der Ent­wick­lung aber auch bei Krank­hei­ten wie Dia­be­tes oder Krebs. Wie ver­än­dern sich die be­trof­fe­nen Zel­len? Und was ge­nau läuft bei ih­nen schief? Die­se Kennt­nis­se sind wich­tig, um Zel­len wie­der auf ei­nen ge­sun­den Weg zu füh­ren. Um all die­se Da­ten er­fas­sen zu kön­nen, braucht es Künst­li­che In­tel­li­genz. Mit KI kön­nen wir Me­tho­den ent­wi­ckeln, die grund­le­gen­de Fra­gen be­ant­wor­ten, aber sich auch für den kli­ni­schen Ein­satz eig­nen. Beim welt­wei­ten Netz­werk „Hu­man Cell At­las“ ha­ben wir es uns zum Ziel ge­macht, al­le mensch­li­chen Zel­len un­se­res Kör­pers zu kar­tie­ren. Da­mit soll un­ter an­de­rem ge­lin­gen, was lan­ge Zeit Uto­pie war: die ge­ziel­te Dia­gno­se und Be­hand­lung von Krank­hei­ten. Das wird die Me­di­zin der Zu­kunft „mo­le­ku­la­rer“ und durch KI da­ten­ge­stütz­ter und in­di­vi­du­el­ler machen. 

Fabian Theis 

Lei­ter Com­pu­ta­tio­nal He­alth Cen­ter, Helm­holtz Mün­chen und Pro­fes­sor für Ma­the­ma­ti­sche Mo­del­lie­rung bio­lo­gi­scher Sys­te­me, TU München 

Foto: Matthias Tunger Photodesign

Klaus Cichutek 

Prä­si­dent Paul-Ehr­lich-In­sti­tut (PEI)

Foto: PEI/​Thorsten Jansen

Personalisiert behandeln

Die Me­di­zin von Mor­gen birgt ein gro­ßes Po­ten­zi­al und schon heu­te lie­fert die Bio­tech­no­lo­gie hier­für wich­ti­ge Werk­zeu­ge – auch für neu­ar­ti­ge Impf­stof­fe. Das jüngs­te Bei­spiel ist die Emp­feh­lung des Aus­schus­ses für Hu­man­arz­nei­mit­tel bei der Eu­ro­päi­schen Arz­nei­mit­tel­agen­tur EMA für ei­nen Impf­stoff ge­gen das Re­spi­ra­to­ri­sche Syn­zy­ti­al-Vi­rus (RSV) für Men­schen ab 60 Jah­re. In der Pan­de­mie ha­ben der Ein­satz der mR­NA- und Vek­tor-Tech­no­lo­gien für die Impf­stoff­ent­wick­lung ih­re zen­tra­le Be­deu­tung für die schnel­le Ent­wick­lung und mas­sen­haf­te Her­stel­lung von CO­VID-19-Impf­stof­fen un­ter Be­weis ge­stellt. Ins­be­son­de­re die mR­NA-Tech­no­lo­gie, die als Bau­kas­ten­sys­tem ge­nutzt wer­den kann, er­laubt die kos­ten­güns­ti­ge und schnel­le An­pas­sung an ver­än­der­te Ziel­struk­tu­ren. Die Hoff­nung ist, da­mit auch ei­ne zu­sätz­li­che Op­ti­on bei der Be­hand­lung von Krebs­er­kran­kun­gen zu ha­ben. Als Teil der per­so­na­li­sier­ten Me­di­zin soll ein ak­tiv auf die in­di­vi­du­el­len Ei­gen­hei­ten der Krebs­zel­len ei­ner Pa­ti­en­tin oder ei­nes Pa­ti­en­ten zu­sam­men­ge­stell­tes Im­mun­the­ra­peu­ti­kum zur Be­hand­lung ein­ge­setzt wer­den. Ein Bei­spiel für Arz­nei­mit­tel für neu­ar­ti­ge The­ra­pien (Ad­van­ced The­ra­py Me­di­cinal Pro­ducts, ATMP) sind Gen­the­ra­peu­ti­ka, wie die CAR-T-Zel­len, die sich be­reits in der Leuk­ämie­be­hand­lung be­währt ha­ben. Für die Be­wer­tung die­ser kom­ple­xen Arz­nei­mit­tel hält das Paul-Ehr­lich-In­sti­tut spe­zi­el­le Ex­per­ti­se vor, die un­ter an­de­rem auf sei­ner ei­ge­nen ex­pe­ri­men­tel­len For­schung beruht. 

BESTRAHLUNG VON INNEN

Zielgerichtete Radionuklidtherapie gegen Krebs

Die ziel­ge­rich­te­te Ra­dio­nu­klid­the­ra­pie ist ein viel­ver­spre­chen­der, in­no­va­ti­ver An­satz in der Krebs­the­ra­pie, der auch bei weit fort­ge­schrit­te­nen Krebs­er­kran­kun­gen und schwer zu be­han­deln­den Pa­ti­en­ten be­reits ers­te Er­fol­ge er­zie­len konnte. 
Trotz enor­mer the­ra­peu­ti­scher Fort­schrit­te in den letz­ten 20 Jah­ren zählt Krebs nach wie vor zu den häu­figs­ten To­des­ur­sa­chen welt­weit. Ei­ne gro­ße Her­aus­for­de­rung bei der Ent­wick­lung neu­er Be­hand­lun­gen ist es, ei­nen Weg zu fin­den, Krebs­zel­len wirk­sam und voll­stän­dig zu be­kämp­fen, oh­ne ge­sun­de Zel­len um das Tu­mor­ge­we­be her­um zu schädigen. 

Grenzen etablierter Krebstherapien

Zu den eta­blier­ten Säu­len der Krebs­the­ra­pie ge­hör­ten bis­her Chir­ur­gie, Che­mo­the­ra­pie und Be­strah­lung. Aber auch Im­mun­the­ra­pien, die dar­auf bau­en, das Im­mun­sys­tem ef­fi­zi­en­ter ge­gen Krebs zu nut­zen, fin­den im­mer mehr Ein­zug in die The­ra­pie­sche­ma­ta. Al­ler­dings pro­fi­tie­ren nicht al­le Pa­ti­en­ten von die­sen The­ra­pie­mög­lich­kei­ten und die star­ken Ne­ben­wir­kun­gen die­ser Be­hand­lungs­for­men blei­ben ein gro­ßes The­ma, be­son­ders bei fra­gi­len Pa­ti­en­ten oder weit fort­ge­schrit­te­nen Krebs­er­kran­kun­gen. Hier könn­te ein in­no­va­ti­ver An­satz in der Strah­len­the­ra­pie hel­fen, der ei­ne sehr ge­ziel­te Be­kämp­fung des Tu­mors bei ma­xi­ma­ler Scho­nung des um­lie­gen­den Ge­we­bes anstrebt. 

Gezielte Bekämpfung des Tumors

Die­ser neu­ar­ti­ge An­satz nennt sich ziel­ge­rich­te­te Ra­dio­nu­klid­the­ra­pie und un­ter­schei­det sich deut­lich von der her­kömm­li­chen Strah­len­the­ra­pie, bei wel­cher der Tu­mor von au­ßen be­strahlt wird. Die ziel­ge­rich­te­te Ra­dio­nu­klid­the­ra­pie er­mög­licht ei­nen prä­zi­sen An­griff auf den Tu­mor von in­nen, näm­lich durch Frei­set­zung der Strah­lung di­rekt im Tu­mor­ge­we­be. Da­für wird ein Ra­dio­phar­ma­zeu­ti­kum über die Blut­bahn ge­zielt zum Tu­mor ge­schleust. Das Me­di­ka­ment be­steht aus ei­nem me­di­zi­ni­schen Ra­dio­iso­top – ei­nem Atom, das ei­ne ge­rin­ge Strah­lung ab­gibt – und ei­nem Mo­le­kül, das ge­zielt an spe­zi­fi­sche Struk­tu­ren auf der Ober­flä­che der Tu­mor­zel­len bin­det und so­mit das Ra­dio­iso­top di­rekt am Tu­mor plat­ziert. Da­durch kann die vom Ra­dio­iso­top ab­ge­ge­be­ne Strah­lung das Tu­mor­ge­we­be zer­stö­ren, oh­ne weit­rei­chen­den Ein­fluss auf das um­lie­gen­de Ge­we­be zu haben.

Dies er­mög­licht die Be­hand­lung von Krebs­ar­ten, bei de­nen klas­si­sche Me­tho­den we­nig er­folg­ver­spre­chend oder ri­si­ko­be­haf­tet sind. Da­zu ge­hö­ren Ge­hirn­tu­mo­ren, Bauch­spei­chel­drü­sen­krebs, me­tasta­sier­ter Pro­sta­ta­krebs oder neu­ro­en­do­kri­ne Tu­mo­ren (NETs), die hor­mon­bil­den­de Zel­len be­fal­len und oft erst er­kannt wer­den, wenn sie weit fort­ge­schrit­ten sind. Durch den ziel­ge­rich­te­ten An­griff kön­nen mit die­ser The­ra­pie­form Tu­mor­zel­len über­all im Kör­per auf­ge­spürt und an­ge­grif­fen wer­den, was auch die Be­hand­lung von Me­ta­sta­sen und Mi­kro­me­ta­sta­sen er­mög­li­chen kann, die zum Teil nicht von klas­si­schen The­ra­pien adres­siert werden. 

„If we can see it, we can treat it“

Es ist aber nicht nur die Prä­zi­si­on in der The­ra­pie, die die­sen neu­en An­satz be­son­ders macht, son­dern auch die Mög­lich­keit, Dia­gno­se und Be­hand­lung ef­fi­zi­ent zu kom­bi­nie­ren. Bei Dia­gnos­tik und The­ra­pie kann das glei­che tu­mor­spe­zi­fi­sche Mo­le­kül mit ent­we­der ei­nem dia­gnos­ti­schen oder ei­nem the­ra­peu­ti­schen Ra­dio­iso­top an­ge­wen­det wer­den. Für die Dia­gno­se wer­den Ra­dio­iso­to­pe, die spe­zi­ell für die Bild­ge­bung ge­eig­net sind – so­ge­nann­te Gam­ma­strah­ler – mit ei­nem tu­mor­spe­zi­fi­schen Mo­le­kül ge­kop­pelt. Mit­hil­fe mo­der­ner bild­ge­ben­der Ver­fah­ren, wie zum Bei­spiel PET/​CTs, kön­nen die dia­gnos­ti­schen Ra­dio­phar­ma­zeu­ti­ka im Kör­per dar­ge­stellt und da­mit das Tu­mor­ge­we­be so­wie Me­ta­sta­sen prä­zi­se ab­ge­bil­det wer­den. Dies er­laubt es, die Aus­brei­tung des Tu­mors so­wie des­sen Sta­di­um zu be­stim­men und ei­ne in­for­mier­te­re Ent­schei­dung zur Be­hand­lung zu tref­fen. Für die The­ra­pie wer­den dann spe­zi­el­le the­ra­peu­ti­sche Ra­dio­iso­to­pe, meist Be­ta- oder Al­pha­strah­ler, mit dem glei­chen tu­mor­spe­zi­fi­schen Mo­le­kül ge­kop­pelt. Im Ge­gen­satz zu den dia­gnos­ti­schen Ge­gen­spie­lern ge­ben sie ei­ne et­was stär­ke­re Strah­lung ab, die die ge­ziel­te Zer­stö­rung des Tu­mor­ge­we­bes be­wir­ken kann. 

Der theranostische Ansatz

Die­ser so­ge­nann­te ther­anos­ti­sche An­satz, die Ver­bin­dung von prä­zi­ser Bild­ge­bung und ziel­ge­rich­te­ter The­ra­pie, macht die Ra­dio­nu­klid­dia­gnos­tik und ‑the­ra­pie zu ei­nem der span­nends­ten Fel­der der Prä­zi­si­ons­on­ko­lo­gie. In den letz­ten Jah­ren folg­ten be­reits ei­ni­ge Zu­las­sun­gen, zum Bei­spiel zur Be­hand­lung neu­ro­en­do­kri­ner Tu­mo­ren und Pro­sta­ta­krebs. Pro­dukt­kan­di­da­ten ge­gen wei­te­re Krebs­er­kran­kun­gen sind in der Ent­wick­lung, un­ter an­de­rem durch das deut­sche Bio­tech­un­ter­neh­men ITM Iso­to­pe Tech­no­lo­gies Mu­nich, das zu den füh­ren­den Ent­wick­lern und Her­stel­lern im Be­reich der Ther­anos­tik zählt.

Ver­lau­fen die Stu­di­en er­folg­reich, könn­ten die­se in­no­va­ti­ven The­ra­pien da­zu bei­tra­gen, schwer­kran­ken Pa­ti­en­ten ein län­ge­res Le­ben bei hö­he­rer Le­bens­qua­li­tät zu er­mög­li­chen und ei­nen neu­en The­ra­pie­an­satz für Krebs­pa­ti­en­ten zu etablieren.

Mehr In­for­ma­tio­nen un­ter: itm-radiopharma.com

Anzeige

Beliebte Fragen

Die nächste Ausgabe erscheint
am 23. Ju­ni in der Süd­deut­schen Zei­tung

Werde Teil der Diskussion und mach unser Heft mit Deiner Meinung bunter. 

Ta­ge
Stun­den
Mi­nu­ten
Se­kun­den

Nur noch wenige Tage bis Deine Meinung gedruckt wird.

Klick auf die Frage und schreib uns Deine Antwort oder per Mail an antwort(at)plus-drei.de.