
Was ist die Zukunft des Journalismus?
Als das Internet zur Jahrtausendwende richtig groß wurde, prophezeiten Medienwissenschaftler den baldigen Tod des klassischen Journalismus. 20 Jahre später kann davon zwar keine Rede sein, die Transformation ist aber trotzdem in vollem Gange. Schreiben Sie uns, was für Sie guten Journalismus von morgen ausmacht und von wem er gemacht werden sollte.

Raum für neues Denken
Es wäre bitter, wenn das Wort Zukunft zum Drohwort würde. Der Niedergang des Journalismus, den manche vorhersagen, kommt ja nicht schicksalshaft auf uns zu. Zukunft ist nichts Festgefügtes. Für gute Veränderung zu werben, ist die demokratische Aufgabe von Journalismus. Presse in allen ihren Erscheinungsformen ist das Forum dafür, über die Zukunft der Gesellschaft zu diskutieren. Wir brauchen eine neue Utopie. Das ist wichtig für die Zukunft unserer Gesellschaft. Seitdem nach 1990 der Tod der Utopien verkündet wurde, erleben wir den Aufstieg des extremistischen Populismus und der politischen Dummheit. Die Menschen spüren, wie sich der innere Zusammenhalt der Gesellschaft auflöst. Und weil es noch keine neuen großen Ideen gibt, suchen die Menschen im Abfall der Geschichte nach den alten. Das ist ein Grund für die neuen politischen Schwarzmarktfantasien. Was hilft dagegen? Es hilft Denken. Und das Denken braucht den Raum, in dem man es ausbreiten kann. Diesen Raum bietet die Medien. Daraus folgt: Das beste Rezept für ihre gute Zukunft ist verlegerische und journalistische Leidenschaft. Natürlich hat das Internet viel verändert. Aber ein Journalismus, der Angst vor Veränderungen hätte, wäre erbärmlich. Pressefreiheit braucht Journalisten, die neugierig, unbequem, urteilskräftig und integer sind. Ein solcher Journalismus wird das böse Wort von der Lügenpresse abschütteln. Die Zukunft des Journalismus liegt im Journalismus.

Organisierte Vielfalt
Als Organisationsforscher interessiert mich vorrangig, wie journalistische Zusammenarbeit funktioniert. Die klassische Redaktion, die mehr als 100 Jahre der vorherrschende Arbeitsort des Journalismus war, ist heute ein Auslaufmodell. Ihre Kostenstruktur passt nicht mehr zu den stark gesunkenen Erlösmöglichkeiten im digitalen Journalismus. Es ist absehbar, dass sie bald nur noch als Ausnahme fortbestehen wird – dort, wo man sie sich weiterhin leisten kann und will. An die Stelle der konventionellen Redaktion tritt eine Vielzahl und Vielfalt anders organisierter Produktionsstätten. Die Riff Reporter etwa entwickeln eine genossenschaftliche Gründungsinfrastruktur für ihre mehr als 100 beteiligten Journalisten – eine Plattform als Verlag für das 21. Jahrhundert. Das gemeinnützige Science Media Center Germany produziert selbst keine journalistischen Endprodukte, sondern unterstützt den Journalismus durch Dienstleistungen und Technologieentwicklung – und kompensiert damit in den letzten Jahren entstandene Defizite. Rechercheverbünde wie die Panama Papers schaffen den Handlungsrahmen für grenzüberschreitenden investigativen Journalismus – und verhelfen so Recherchen zu globaler Wirkkraft. Diese Beispiele deuten an, wie der Journalismus in Zukunft organisiert werden kann. Sie geben Hoffnung, verlässliche Organisationsformen zu finden, die den Journalismus auch künftig in einer Qualität ermöglichen, die wir uns als Gesellschaft wünschen.

Der Anspruch bleibt
Neue Medien und neue Techniken verdrängen die alten Medien nicht, sondern ergänzen und verändern sie. Schon heute und noch mehr in der Zukunft haben wir nicht zu wenig Informationen, sondern eher zu viel. Gerade deshalb brauchen wir kompetente Journalisten, die die Spreu vom Weizen trennen. Sie sollten sich als Lotsen in der Informationsflut begreifen und für Orientierung sorgen. Schon im Jahre 1695 hat sich der Privatgelehrte Kaspar Stieler mit Fragen der journalistischen Qualität befasst. In seinem Buch „Zeitungs Lust und Nutz“ fordert dieser welterfahrene Mann von den Medien seiner Zeit einen engen Bezug zur Wirklichkeit: Der Journalist solle über Zustände und Ereignisse berichten, ohne überall seinen „Senf darüber her [zu] machen“. Er dürfe keine Lügen und eigene Erfindungen verbreiten, sondern nur, was „alles sich so und anders nicht begeben habe“. Er müsse „das Wichtige und Weitaussehende von Lappalien zu unterscheiden“ wissen, also die Relevanz von Nachrichten richtig einschätzen. Er hätte seine Quellen kritisch zu prüfen und „unparteyisch“ zu sein. Und er solle die Informationen in einem flüssigen, verständlichen Stil vermitteln: „Wortwandlungen oder Blumwerk gehören in die Zeitungen nicht – so wenig wie Poetische Grillen und neu erfundene Worte.“ Diese Ratschläge für guten Journalismus haben auch nach mehr als 300 Jahren nichts an Aktualität verloren.

Ordnende Hand
Guter Journalismus zeichnet sich durch die Trennung von Nachricht und Meinung aus – das gilt auch in Zukunft. Allerdings wird die Analyse von Nachrichten wichtiger werden. Analysen, plausibel begründet, bieten Lesenden Orientierung. Es geht darum, das Bedürfnis nach Einordnung von Ereignissen zu befriedigen. Bei dem Überfluss von Meldungen auf Kanälen aller Art ist der Einzelne überfordert, zu bewerten, was substanzielle Information ist und was diese bedeutet. Zudem sind Hintergrundrecherchen, die jenseits der Tagesaktualität Zusammenhänge erläutern, wertvoll – diese Leistung kann der einzelne Lesende nicht erbringen. Last, but not least sind Geschichten von Menschen, in denen Ereignisse auf konkrete Schicksale heruntergebrochen werden, wichtig, um anonymen Geschehnissen ein Antlitz zu verleihen. Von wem diese journalistischen Formate erstellt werden sollten? Die Autoren sollten ein analytisches Vermögen besitzen, die Kodizes des professionellen Journalismus kennen und weniger an der heißen Story als an der Vermittlung von Erkenntnis interessiert sein. Ich bin überzeugt, dass Menschen dafür auch oder wieder Geld bezahlen werden. Zu viel Fake und Nonsens wird im Netz verbreitet, sodass das Bedürfnis nach Orientierung wachsen wird.

Leuchtturm im Meer der Informationen
Guter Journalismus braucht eine hochethische Gemeinschaft, effiziente Werkzeuge und vielfältige, sichere Kanäle. Nur so kann man bei gewohnt schneller und umfassender Information dem mit den Möglichkeiten der Digitalisierung einhergehenden Vertrauensverlust in die Medien Herr werden. Journalismus darf nicht versuchen, dem Leser eine Meinung zu bilden, sondern muss ihm untendenziöse, umfassende und – soweit möglich – nachprüfbare Informationen auf verschiedenen Kanälen zur Verfügung stellen, damit er sich seine Meinung selbst bilden kann. Dazu gehört idealerweise auch eine Förderung der Medienkompetenz der Leserschaft, damit diese die Inhalte verschiedener Quellen qualifiziert beurteilen kann. Damit sind nicht nur die diversen Qualitätsmedien gemeint, sondern auch die Informationen und Meinungen aus den sehr unterschiedlich qualifizierten „Quellen“ im Internet. Auf diese Weise kann der Qualitätsjournalismus sicher noch lange eine Leitfunktion in der immer komplexer werdenden Medienlandschaft behalten. Allerdings sollten dazu die Leserbedürfnisse auch nicht Moden oder artfremden Verhaltensweisen, etwa aus dem Marketing, untergeordnet werden. Exemplarisch seien nur zwei Beispiel dafür genannt: die zunehmende Verwendung des Präsens bei Prozessen in der Vergangenheit sowie die „Leserbindung“ dergestalt, dass das im Titel genannte Thema erst im letzten Drittel des Artikels wirklich angesprochen wird.

Bedrohtes Kulturgut
In meiner Kindheit habe ich meinen Vater immer dabei beobachtet, wie er am Samstagmorgen hinter seiner Zeitung und nach dem Frühstück in seiner eigenen Welt verschwunden ist. Heute weiß ich, dass er in Welten wanderte, die andere für ihn gezeichnet haben. Menschen in Wort und Schrift zu erreichen, war seit Anbeginn der Zeit jenen vorbehalten, die Macht hatten und diese durch das Privileg der Kommunikation sogar noch steigern konnten. Über Jahrhunderte hat sich dieses Privileg gewandelt und der Journalismus entstand. Mit der Möglichkeit, Dinge anzusprechen, war man in der Lage, das Machtgefüge zu beeinflussen, indem man Informationen streute und die Wahrheit ans Tageslicht brachte und bis heute bringt. Mittlerweile kann jeder Dinge ansprechen und durch das Internet viele Menschen erreichen. Das Problem ist nur der Wahrheitsgehalt. Leider weigern sich Plattformen, die sich auf Meinungsfreiheit berufen, ihrer Pflicht nachzukommen, Kommentare auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Ohne, dass sich Unternehmen dieser Pflicht stellen, sehe ich die Zukunft des Journalismus arg bedroht.

Die Welt ergründen
Im Zeitungskopf des Berliner „Tagesspiegel“ steht ein großer Leitsatz: Rerum cognoscere causas. Das bedeutet: die Ursachen der Dinge erkennen, den Dingen auf den Grund gehen. Sind die Journalisten übergeschnappt? Wollen sie den Doktor Faust spielen? Allerdings: Was wäre der Journalismus ohne ernsthafte Wahrheitssuche? Was wäre er ohne das wahrhaftige Bemühen um treffende Beschreibungen und Erklärungen? Ein trostloses, sogar gefährliches Treiben, das wäre er. Journalisten dürfen nicht so tun, als seien sie in einen Weisheitstopf gefallen und hätten sich in der Wahrheit gewälzt. Sie dürfen sich nicht berauschen an ihrer (angeblichen) Bedeutung. Der Presseausweis gibt ihnen keinen exklusiven Zugang zur Welt. Schon gar nicht in einer Welt, in der so viele Menschen im Internet selbst das Wort ergreifen und ihre Sicht der Dinge darlegen können. Auch guter Journalismus ist fehlbar. Dennoch würde er sehr fehlen, wenn es ihn nicht gäbe. Auch in Zukunft braucht es ihn als eine Kraft, die beharrlich berichtet, fragt und zweifelt. Als Macht, die unabhängig agiert und gegen Widerstände recherchiert. Welche Zukunft hätte der Journalismus, würde er nicht hinter die Kulissen blicken? Welche Berechtigung hätte er, ließe er sich vom Glanz der Oberfläche blenden? In der digitalen Dauerkommunikation ist mehr denn je ein Journalismus gefordert, der geduldig die Welt ergründet. Bescheiden und ohne Dünkel muss er sich die höchsten Ziele setzen.

Wegweiser im Diskurs
Für die Zukunft bin ich optimistisch: Die Bild wird ihren Trend fortsetzen und irgendwann abkratzen, weil man für selbsterfundene Geschichten angereichert mit Stereotypen heute keine große Redaktion mehr braucht. Das können die Leute im Netz alleine und das tun auch ziemlich viele. Die sozialen Medien machen den Boulevardjournalismus insgesamt überflüssig. Promis auf der Suche nach Aufmerksamkeit brauchen die Bild heute nicht mehr. Das war vor zehn Jahren noch anders. Was bleibt also übrig? Was können die sozialen Medien nicht leisten? Saubere Recherche und journalistische Standards. Es gibt wenige Projekte, die in den sozialen Medien gestartet wurden und am Ende für verlässliche Quellen und korrekte Einordnungen abgefeiert wurden. Dass die neuen Medien erstmal sehr viele Menschen in den Diskurs geholt haben, ist ein demokratischer Fortschritt. Wie bei jedem Fortschritt gibt es aber auch Risiken und Nachteile: Die Quote der ungecheckten Infos und Falschmeldungen ist durch diese kommunikative Demokratisierung enorm gestiegen, weil nun mal jeder Klotzkopf richtigerweise was sagen oder auch ins Netz schreien darf. Guter Journalismus wird dadurch immer wichtiger. Nicht nur die Information an sich wird zukünftig nachgefragter sein, auch die gesellschaftliche Einordnung wird wichtiger, weil man im Wald der Falschaussagen von Dirk Müller, Alice Schwarzer und Ken Jebsen irgendwann wieder gesicherte Nachrichten haben möchte.

Gute Tradition
Guter Journalismus muss vor allem glaubwürdig sein und erzielt dies nach meiner Einschätzung durch Wahrhaftigkeit und Unabhängigkeit, sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Außerhalb dieser Vorgaben findet schlichte Meinungsmache statt und darunter krankt unsere Gesellschaft aktuell, bemerkenswerterweise, ohne daran zu leiden. In unserer schnelllebigen Zeit genieße ich diesen Journalismus sehr traditionell mit einem Rascheln im Ohr und schwarzen Fingern und hoffe inständig, dass das noch lange so bleibt.

Schreib, was du denkst
Journalismus sollte die Meinung vieler in alle Richtungen abbilden. Jeder von uns hat eine Meinung zu irgendeinem Thema und viele hinterlassen diese mal ausführlicher, mal kurz und knackig in den sozialen Netzwerken. In Zukunft lautet die Frage: Wird Meinung von wenigen großen Firmen so beeinflusst, dass es keine Vielfalt mehr in der Meinungsbildung gibt? Journalismus sollte seine Selbstständigkeit und seine Freiheit nicht aufgeben. Unsere Gesellschaft lebt von unterschiedlichen Meinungen und entwickelt sich dadurch weiter.

Bewährte Werte
Der Journalismus kann nur überleben, wenn er sich mehr noch den Hintergründen widmet, authentisch bleibt und seriös hinterfragt. Dann haben auch Print und Radio eine Chance, zu überleben. Außerdem soll er den Blick in die Zukunft werfen und Perspektiven aufzeigen, an denen sich die Gesellschaft ausrichten kann. Weiterhin muss er den Spagat schaffen, alle Altersgruppen, Milieus und Interessen im Blick zu behalten. Der Kampf um die Demokratie wird in den kommenden Jahren sicher ein weiterer wichtiger Aspekt für die Medien sein, die sich immer mehr unterscheiden in schnelle und tiefgründige Medien. Marshall McLuhans Satz „Das Medium ist die Botschaft“ erhält dann eine so große Aktualität wie niemals zuvor.

Mitdenken
Guter Journalismus macht einen deutlichen Unterschied zwischen der Wiedergabe von Meinungen und Inhalten und kennzeichnet dies auch. Die Inhalte sollten auf nachweisbaren Fakten beruhen. Wenn es dazu inhaltliche Einschränkungen gibt, muss das auch klar kommuniziert werden. Die Fakten-Effizienz ist im Einzelfall durch wissenschaftliche Hinterlegungen mit Links nachzuweisen. Die Pandemie hat gezeigt, dass dieser Nachweis in den seriösen Medien in aller Regel vorhanden war. Dies gilt uneingeschränkt sowohl in den klassischen Printmedien als auch in den digitalen Medien. Wobei der Unterschied zwischen Print und Digital auch darin zu sehen ist, dass umfangreiche Recherchen zu einem aktuellen Sachverhalt einen inhaltlichen Unterschied ausmachen können. Das Wichtigste bleibt aber, dass der Leser die Informationen für sich selber einordnet. An dieser Stelle entscheidet sich, ob Fake News oder Verschwörungstheorien auf einen fruchtbaren Boden fallen.

Qualität bleibt
Die einen debattieren über das Ende der gedruckten Zeitung, die anderen verteufeln alles, was digital daherkommt. Doch die Qualität des Inhalts schert sich nicht um das Medium, um den Datenträger. Die Zukunft des Journalismus ist und bleibt daher qualitativ hochwertiger Journalismus, der erläutert, einordnet, kritisch nachfragt, sich nicht einlullen lässt und überparteiisch ist – ein Leuchtturm im Meinungsmeer, ein Verteidiger der Grundrechte. Hart in der Sache, aber stets sachlich. Beleuchtet er eine Fragstellung umfassend? Macht er sich nicht gemein mit einer Seite? Werden PR-Verlautbarungen und inhaltsleeres Polit-Blabla eins zu eins wiedergegeben? Die Zukunft des Journalismus ist und bleibt Qualität. Statt zu lamentieren, dass früher alles besser war – ist Druckerschwärze an den Fingern wirklich ein must have? – nutzt der Journalismus der Zukunft die digitalen Tools für die Arbeit, um Unstimmigkeiten in Sachverhalten herauszufinden, um Zusammenhänge und Zahlungsströme zu rekonstruieren und den Mächtigen, Schummlern und Verbrechern auf die Schliche zu kommen. Die Zukunft des Journalismus ist … Journalismus.

Täglicher Begleiter
Die Medienbranche befindet sich schon länger inmitten eines grundlegenden Wandels. Auch wenn lineare Angebote immer noch stark nachgefragt werden, nutzen gerade junge Menschen die digitalen Verbreitungswege. Die digitale Nutzung – vor allem im Bereich der Nachrichten – nimmt exponentiell zu. Die Hauptaufgabe des Journalismus von morgen wird es sein, mehr Menschen auf mehr Wegen zu erreichen und dabei gleichzeitig die journalistische Qualität zu erhalten. Große nationale und internationale Themen bleiben wichtig, Berichten über das, was die Menschen in der eigenen Region bewegt, aber wird zunehmend wichtiger. Das stärkt auch die Glaubwürdigkeit der Zeitungsmacher. Mit eigenen Recherchen immer wieder wichtige Impulse setzen und Hintergründe erläutern, das macht für mich einen guten Journalismus aus. Journalismus nicht nur als Informationsvermittler, sondern auch als Tagesbegleiter, der auf verschiedene Weise hilft, mit den unterschiedlichsten Situationen im Alltag umzugehen. Guter Journalismus analysiert, ordnet ein, hinterfragt, bietet neue Zugänge zu Themen, liefert Hintergründe und das jeden Tag aufs Neue.

Schwimmen lernen
Die Zukunft des Journalismus ist ungewiss. Aber das war sie schon immer: Tageszeitung, Radio, TV schufen Umbrüche. Dann kam das Internet. Dieser Verbreitungsweg unterscheidet sich fundamental von allen bisherigen journalistischen Produktionsformen. Er hebt die kategorische Trennung von Sendern und Empfängern auf: Jeder kann nun selbst produzieren und publizieren. Dass Menschen, die nun selbst senden können, mit Skepsis auf die früheren Monopolisten blicken, ist selbstverständlich und auch gut: Entzauberung falscher Autorität hat noch nie geschadet. Für klassische Medien ist das eine ungeheure Lernprovokation. Sie müssen zeigen, dass sie mehr drauf haben. Dazu bedarf es keines besonderen Mutes, aber der ständigen Verbesserung handwerklicher Fähigkeiten: Recherche, Sprache, Gründlichkeit und Einordnung. Wer diese Fähigkeiten besitzt, kann sich als Journalist im Netz sehr gut etablieren – befreit vom traditionellen Korsett der Zeilenvorgabe, des Sendeplatzes und der Perspektivverengung. Nirgendwo lässt es sich tiefer, gründlicher und präziser eintauchen als im Ozean Internet. Ich habe mich vor acht Jahren für diesen Weg entschieden und es nie bereut. Dass in diesem Informationsozean auch Dreck und Desinformation rumschwimmen, gehört einfach dazu. Im Netz müssen wir die Auseinandersetzung mit dem Müll führen – mit neuen professionellen Werkzeugen. Wer sich da die Finger nicht schmutzig machen will, sollte über einen anderen Beruf nachdenken.

Helfer der Demokratie
Wir brauchen Journalismus, um bei der Auswahl und Sortierung relevanter Nachrichten in Zeiten medialer Informationsflut Hilfe zu haben. Darüber hinaus ist guter Journalismus vor allem von nicht zu unterschätzender Relevanz als Basis einer demokratischen Gesellschaft, die Entscheidungen auf fachlicher Grundlage trifft. Deshalb ist es wünschenswert, dass auch Journalisten selbst und viel mehr als aktuell strenge Maßstäbe an ihre Tätigkeit anlegen: Die Prüfung von Quellen, die Nutzung von mindestens zwei unabhängigen Quellen, die strikte Trennung von Information und Meinung. Da mit modernen Medien viele Manipulationsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, muss guter Journalismus umso strengere Kriterien für die eigene Arbeit anlegen – und diese nicht aufweichen, was eine ökonomische Herausforderung sein kann. Der Boulevardjournalismus verkauft sich leider besser, sodass auch seriöse Verlage und Medienanstalten immer wieder der Versuchung reißerischer Überschriften und emotionalisierter Berichterstattung unterliegen.

Der Wahrheit verpflichtet
Presse- und Meinungsfreiheit gehören seit 73 Jahren zu den unveräußerlichen Menschenrechten. Aus gutem Grund. Es braucht unabhängigen Journalismus für ein einvernehmliches Miteinander, für den demokratischen Diskurs und für die stete Kontrolle der Regierenden. Es ist ja kein Zufall, dass Diktatoren und autoritäre Präsidenten, Populisten und Pseudodemokraten die freie Presse mundtot machen. In vielen Ländern der Welt riskieren Journalisten ihr Leben, wenn sie ihrem Beruf nachgehen. Denn sie informieren und erklären, stellen die Zusammenhänge her, aus denen man sich eine eigene Meinung bildet. Sie stellen die wichtigen Fragen. Sie dürfen immer wieder neu zu Expeditionen in die vielfältigen Realitäten aufbrechen, aus denen das Leben besteht. Sie sind Wahrheitssammler – und müssen sich das in sie gesetzte Vertrauen immer wieder neu erarbeiten, verlässlich, verantwortungsvoll und fair. Die Zukunft dieses Berufs ist digital. Darin liegen große Chancen für Sichtbarkeit und Verbreitung, für Transparenz und die Auseinandersetzung mit eigenen Fehlern. Aber zugleich gilt es, der Versuchung zu widerstehen, den eigenen „Markennamen“ zum Maß aller Klicks und Tweets zu erheben. Unabhängiger Journalismus bleibt unverzichtbar. Und ist nicht umsonst zu haben. Als Dienstleistung für die Demokratie muss er fair bezahlt und darf niemals staatlich finanziert werden. Man muss ihn sich leisten wollen. Ein Abo ist ja auch nur einen Klick entfernt.

Zukunft beginnt jetzt
In Amerika hat der Journalismus versagt. Beweise dafür gibt es reichlich: die Wahl Donald Trumps, die lange unzureichende Berichterstattung über soziale Ungleichheit, die zunehmende Ignoranz und Feindseligkeit gegenüber Wissenschaft und Medizin bei Covid-19, das Scheitern der Nachrichtenmedien dabei, online innovativ zu sein. Aber ich bin hoffnungsvoll. Aus der Asche des alten kann ein neuer Journalismus entstehen. Ich habe für mich neu definiert, was ich unter Journalismus verstehe. Seine Aufgabe sollte sein, Gemeinschaften zu respektvollen, informierten und produktiven Gesprächen zusammenzuführen. Die Möglichkeiten dafür sind so zahlreich wie die Anforderungen: Das Internet in seinem ursprünglichen Sinn nutzen, um endlich Gespräche zu ermöglichen, in denen neben Sprechen auch Zuhören stattfindet. Auf konstruktive Weise über Themen debattieren und für Lösungen zusammenarbeiten. Menschen dabei unterstützen, sich gegenseitig besser zu verstehen und Fremde weniger fremd werden zu lassen. Ein wahrhaftigeres Abbild der Gesellschaft zeichnen. Menschen nicht als öffentliche Masse, sondern als Individuen und Mitglieder von Gemeinschaften betrachten und sie mit einer menschlichen statt einer institutionellen Stimme ansprechen. All das ist mit dem Internet möglich. Nach Gutenberg dauerte es 150 Jahre, bis Zeitungen aufkamen. Wir stehen noch am Anfang. Wir wissen noch nicht, was das Internet ist. Wir wissen noch nicht, was Journalismus sein kann.

Frage nach Wahrheit
Sie sagten, wir werden uns nach der Krise viel verzeihen müssen – aber warum? Haben wir uns nicht die Wahrheit gesagt? „Also, wie steht es nun um die Wahrheit?“ fragt der Künstler als Journalist. Landläufig meint man oft, etwas als wahr oder falsch erkennen zu können, aber so einfach ist es nicht. Von Aristoteles über Kant zur Kohärenztheorie, die in ihrer einfachsten Form besagt, dass die Wahrheit oder Richtigkeit einer Aussage darin besteht, ob sie sich widerspruchslos in ein System von Aussagen einfügen lässt. Der Ökonom Otto Neurath meinte einst: „Was man nicht eingliedern kann, wird als unrichtig abgelehnt. Statt die neue Aussage abzulehnen, kann man auch, wozu man sich im Allgemeinen schwer entschließt, das ganze bisherige Aussagensystem abändern, bis sich die neue Aussage eingliedern lässt.“ Wollen wir die Wahrheit verifizieren (bestimmen) – oder sie falsifizieren (einkreisen), um immer näher an die Wahrheit heranzukommen, sie aber nie direkt zu treffen. Ohne sagen zu können „Das ist wahr“, müssen wir wohl oder übel ohne die bestimmende Bedeutung der Wahrheit auskommen. In Zusammenhang mit der Frage nach Wahrheit fällt mir wieder ein: „Die Antwort ist das Unglück der Frage.“

Schnelle Brüter
Die Zukunft des Journalismus sind die Redaktionen, die agile Produkti- onsbedingungen und eine eigene Distribution mit schlanken Kosten verbinden. Großverlage sind das Gegenteil.

Lotsen der Information
Neue Medien und neue Techniken verdrängen die alten Medien nicht, sondern ergänzen und verändern sie. Schon heute und noch mehr in der Zukunft haben wir nicht zu wenig Informationen, sondern eher zu viel. Gerade deshalb brauchen wir kompetente Journalistinnen und Journalisten, die die Spreu vom Weizen trennen. Sie sollten sich als Lotsen in der Informationsflut begreifen und Orientierung geben. Schon im Jahre 1695 hat sich der Privatgelehrte Kaspar Stieler mit Fragen der journalistischen Qualität befasst. In seinem Buch „Zeitungs Lust und Nutz“ fordert dieser welterfahrene Mann von den aktuellen Medien seiner Zeit einen engen Bezug zur Wirklichkeit: Der Journalist solle über Zustände und Ereignisse berichten, ohne überall seinen „Senf darüber her [zu] machen“. Er dürfe keine Lügen und eigene Erfindungen verbreiten, sondern nur, was „alles sich so und anders nicht begeben habe“. Er müsse „das Wichtige und Weitaussehende von Lappalien zu unterscheiden“ wissen, also die Relevanz von Nachrichten richtig einschätzen. Er müsse seine Quellen kritisch prüfen und „unparteyisch“ sein. Und er solle die Informationen in einem flüssigen, verständlichen Stil vermitteln: „Wortwandlungen oder Blumwerk gehören in die Zeitungen nicht – so wenig wie Poetische Grillen und neu erfundene Worte.“ Diese Ratschläge für guten Journalismus haben auch nach mehr als dreihundert Jahren nichts an Aktualität verloren.

Guter Journalismus ist die Basis einer Demokratie
Wir brauchen Journalismus, um bei der Auswahl und Sortierung relevanter Nachrichten in Zeiten medialer Informationsflut zu helfen. Darüber hinaus ist guter Journalismus vor allem von nicht zu unterschätzender Relevanz als Basis einer demokratischen Gesellschaft, die Entscheidungen auf fachlicher Grundlage trifft. Deshalb ist es wünschenswert, dass auch Journalistinnen und Journalisten selbst und viel mehr als aktuell strenge Maßstäbe an ihre Tätigkeit anlegen: Die Prüfung von Quellen, die Nutzung von mindestens zwei unabhängigen Quellen, die strikte Trennung von Information und Meinung. Da mit modernen Medien viele Manipulationsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, muss guter Journalismus umso strengere Kriterien für die eigene Arbeit entwickeln. Und diese nicht aufweichen, was eine ökonomische Herausforderung sein kann. Der Boulevardjournalismus verkauft sich leider besser, so dass auch seriöse Verlage und Medienanstalten oftmals der Versuchung reißerischer Überschriften und emotionalisierter Berichterstattung unterliegen.

Ohne Journalismus kein intelligentes Leben
Der Journalismus wird uns auch ohne bedrucktes Papier die Denkanstöße geben, die wir als Hirnnahrung brauchen werden
Heribert Prantl, Journalist, Kolumnist und Autor