
Was kann die Telemedizin?
In ländlichen Gebieten, bei Zeitnot oder eingeschränkter Mobilität: Die Telemedizin bietet viele Anwendungsmöglichkeiten, wenn der nächste Arzt weit entfernt ist. Berichten Sie uns von Ihren Erfahrungen mit der Telemedizin und welche Potenziale Sie in ihr sehen.
Netzwerk der Zukunft
Telemedizin wird ein immer wichtigerer Teil unserer Versorgung: für Patienten, Pflegekräfte, Ärzte und Rettungssanitäter. Telemedizin verändert aber auch die medizinische Behandlung selbst und sorgt dafür, dass Austausch und Zusammenarbeit zwischen den Fachrichtungen besser funktionieren. Mit Telemedizin können wir den Graben zwischen der Gesundheitsversorgung in Arztpraxen und Krankenhäusern sowie regionale Grenzen besser überwinden. Sie hilft, dass nicht der Patient zu verschiedenen Experten reisen muss, sondern das Wissen der Spezialisten zum Patienten kommen kann. Ich denke dabei nicht nur an Videosprechstunden, die Patienten helfen können, weite Wege zu vermeiden. Mit Telemedizin können sich zum Beispiel Mediziner kleinerer Krankenhäuser mit Spezialisten eines Universitätsklinikums über die für den Patienten sinnvollen nächsten Schritte abstimmen. Telemedizin erleichtert den professionellen Austausch zwischen allen an der Behandlung Beteiligten. Die Vorteile für die Patienten: schnellere Diagnosen und eine zielgerichtete Behandlung. Mit Telemedizin können wir damit über Digitalisierung im Gesundheitswesen nicht nur sprechen, sondern ihre Vorteile praktisch erlebbar machen. Sie ermöglicht es, die Versorgung in ländlichen Regionen auch in Zukunft auf hohem Niveau sicherstellen zu können. Ich setze ich mich deshalb dafür ein, dass mehr sinnvolle telemedizinische Leistungen schnelleren Einzug in die praktische Versorgung halten.
Im Heute ankommen
Seit jeher verbietet die ärztliche Berufsordnung die ausschließliche Fernbehandlung von Patienten mittels Telemedizin. (Video-)Telefonie durfte bislang nur mit Bestandspatienten erfolgen. Den Vätern der Berufsordnung ging es dabei nicht darum, die Ärzteschaft zu maßregeln, sondern um den Schutz und die Sicherheit der Patienten. Inzwischen ist diese restriktive Regelung überholt, denn die Medizin hat sich weiterentwickelt. Deshalb gibt es heute die „ausschließliche ärztliche Fernbehandlung“ schon vielerorts im Ausland. Sie ist fester Bestandteil des Gesundheitsmarkts und macht in Zeiten der uneingeschränkten Telefonie und des weltumspannenden Internets an Deutschlands Grenzen natürlich nicht Halt. In Baden-Württemberg haben wir daher schon 2016 einen weitreichenden Beschluss getroffen: Als erste und einzige Ärztekammer in Deutschland öffneten wir unsere Berufsordnung für die ausschließliche Fernbehandlung im Rahmen von Modellprojekten. Inzwischen haben wir sieben Modellprojekte genehmigt. Unser Weg überzeugte im Mai 2018 auch den Deutschen Ärztetag. Er empfahl den übrigen Landesärztekammern, die ausschließliche ärztliche Fernbehandlung auch in deren Berufsordnungen aufzunehmen. Dies geschieht seither sukzessive in den meisten Bundesländern. Ganz wichtig ist uns: Jeder darf, aber keiner muss diese Form der Behandlung in Anspruch nehmen. Denn digitale Techniken unterstützen die Ärzte, ersetzen aber nicht die persönliche Zuwendung.
Rundum besser betreut
Die Telemedizin hat für Diagnostik und Therapie verschiedene Facetten.Bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz soll sie die ambulante Therapie beim betreuenden Haus- und Facharzt – insbesondere auch in ländlichen Regionen – unterstützen, um frühzeitig eine beginnende Verschlechterung der Erkrankung zu erkennen und entsprechend intervenieren zu können. Zum Betreuungskonzept zählen die tägliche Messung und Übertragung verschiedener Vitalparameter wie Blutdruck und EKG durch die Patienten an ein fachärztlich und fachpflegerisch rund um die Uhr besetztes Telemedizinzentrum. Aber auch eine strukturierte Patientenedukation und der enge Kontakt zwischen den primär betreuenden Ärzten und dem Telemedizinzentrum sind wichtig für eine effektive Betreuung. In einer international vielbeachteten klinischen Studie konnten wir erstmalig nachweisen, dass Telemedizin bei Hochrisikopatienten mit Herzschwäche zu einer Lebensverlängerung und zu weniger Krankenhausaufenthalten führt - unabhängig davon, ob der Patient im strukturschwachen ländlichen Raum oder in einer Metropolregion lebt. Telemedizin ist damit auch geeignet, regionale Versorgungsunterschiede zwischen Stadt und Land zu kompensieren und die Versorgungsqualität insgesamt zu verbessern. Eine nächste wichtige Aufgabe besteht nun darin, ein Alltagsmodell zu entwickeln, damit möglichst viele von den rund 200.000 betroffenen Patienten in Deutschland davon profitieren können.
Der Experte ist überall
Bei bemannten Raumfahrtmissionen wie auf der Internationalen Raumstation ISS wird bei gesundheitlichen Routinechecks der Astronauten oder bei Notfällen Telemedizin zur Unterstützung durch Experten am Boden eingesetzt. Aber auch auf der Erde kann Telemedizin helfen: Auf See, in schwer zugänglichen oder entlegenen, unterversorgten Regionen, bei Einsätzen in Krisengebieten und natürlich im heimischen Umfeld immobiler Menschen können Experten auch über große Entfernungen hinweg vor Ort unterstützen. Mit Hilfe von mobilen Ultraschallgeräten können zum Beispiel Sanitäter vor Ort schnell Aufnahmen erzeugen. Für die Diagnostik bedarf es aber medizinischer Experten. Dafür hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt kürzlich mit einem österreichischen Partner das weltweit einsetzbare Tele-Ultraschallsystem ASYSTED entwickelt. Über dieses System ist ein Experte für Ultraschall virtuell präsent und leitet den Untersucher am Einsatzort bei der Sonographie an. Ultraschallvideo und -bilder werden zur Diagnostik live zum Experten übertragen. Dadurch kann die Qualität der Ultraschalluntersuchung deutlich verbessert werden. Vor allem in kritischen Fällen wird es so möglich, frühzeitig eine Diagnose zu stellen und die Entscheidung für oder gegen einen Notfalltransport treffen zu können. Erste Feldtests bei der Bundeswehr verliefen bereits sehr vielversprechend und werden demnächst ausgeweitet.
Optimierte Heimdialyse
Der Einsatz der Telemedizin im Sinne eines Remote Patient Management (RPM) ist nicht nur generell auf dem Vormarsch, sie hält auch Einzug in die Nierenersatztherapie. Unter dem Namen Sharesource bietet Baxter ein Cloud-basiertes System der Patientenfernüberwachung für Heimdialysepatienten an. Es handelt sich um eine Server-basierte Plattform, die Peritonealdialysepatienten und Kliniken miteinander verbindet und ein zeitlich und örtlich unabhängiges Therapiemanagement ermöglicht. Das System liefert präzise Daten, um potenzielle Probleme der Patienten ohne Zeitverzögerung erkennen zu können. Ich als behandelnder Arzt erhalte direkte Einsicht in die Behandlungsdaten und die Möglichkeit, das Geräteprogramm direkt vom Dialysezentrum aus anzupassen. Es ermöglicht mir, die Therapie online zu beurteilen, ohne auf Telefonate angewiesen zu sein, und gegebenenfalls das Therapieprogramm rasch anpassen beziehungsweise auf kritische Situationen schnell reagieren zu können. Detaillierte Berichte zu Therapiesitzungen sind ebenso erhältlich wie die Profile zu den tatsächlichen Behandlungszeiten und -zyklen. Und weil das System den Aufwand reduziert, ein Behandlungsprotokoll zu erstellen, ist es patientenfreundlich. Insgesamt leistet der Einsatz von Telemedizin nicht nur einen Beitrag zur Verbesserung der Heimdialyse, sondern kann darüber hinaus auch helfen, die Therapieadhärenz der Patienten zu verbessern.

Seriöse Informationen
Ich wundere mich schon manchmal, warum es nicht schon längst viel mehr Telemedizin gibt. Die technischen Möglichkeiten gibt es doch bereits und wir alle nutzen sie im Alltag. Der Computerarzt ist zum Beispiel eigentlich schon im Einsatz, wenn Menschen ihre Beschwerden im Internet in die Suchmaske eingeben. Nur bekommt man da natürlich keine qualifizierte Ersteinschätzung angezeigt, sondern nur die Ergebnisse, auf die besonders oft draufgeklickt wird. Und das ist nun mal oft die schlimmstmögliche Diagnose, also irgendetwas, dass definitiv zum Tod führt. Hier wäre es wünschenswert, in Deutschland zugelassene und geprüfte professionelle Angebote zur Verfügung zu haben. Letztlich geht es für eine allererste Einschätzung ja erstmal darum, die richtigen Fragen zu stellen und dann die Antworten von einer Fachkraft auswerten zu lassen. Die Antwort kann meinetwegen auch gern erst am nächsten Tag kommen. Hauptsache ich kann seriös einschätzen, ob ich zu einem Facharzt muss – und am besten noch, zu welchem.
Der 24-Stunden-Experte
Telemedizin beschreibt eine Menge von Verfahren, die alle eines gemeinsam haben: Im Rahmen der Diagnostik oder Therapie werden technische Mittel eingesetzt, um Raum oder Zeit zu überbrücken. Dies kann von einem Telefon bis zur komplexen Infrastruktur gehen, die einen Operationsroboter steuert oder einem Arzt die virtuelle Präsenz bei einem Intensivpatienten ermöglicht. Telemedizin ist schon heute fester Bestandteil der Krankenhausversorgung. Im Bereich der Schlaganfallzentren muss schnell entschieden werden, um welche Schlaganfallform es sich handelt und welche Soforttherapie notwendig ist. Über eine Bildübertragung kann ein Experte die Entscheidung treffen, auch wenn der Patient nicht vor Ort ist. Damit werden die Auswirkungen eines Schlaganfalls deutlich gemindert. Beim hohen Grad der heutigen Spezialisierung in der Medizin können Experten nicht in allen Krankenhäusern vorgehalten werden. Hier kann die Telemedizin die Verlegung des Patienten ersetzen. Dies optimiert die Versorgung und hilft, Expertenwissen weiterzuvermitteln. Krankenhäuser begleiten heute Patienten mit Hilfe der Telemedizin nach Hause, um den Arzt vor Ort auf Basis entsprechender Sensordaten zu unterstützen. Patienten profitieren von der Sicherheit der 24-Stunden-Überwachung durch das Krankenhaus und bei Bedarf kann der Arzt vor Ort alarmiert werden. Einziger Nachteil ist heute noch, dass Krankenhäuser dafür Einzelverträge mit Krankenkassen schließen müssen.

Der autonome Patient
Telemedizin kann helfen, den Menschen ein Stück Verantwortung für ihre Gesundheit zurückzugeben. Mit Hilfe von Technik kann jeder ein Stück weit selbst entscheiden, ob er zum Arzt geht oder ob es andere Möglichkeiten gibt. Diese Autonomie entlastet das Gesundheitssystem und hilft Ärzten, sich auf Patienten zu konzentrieren, die wirkliche Probleme haben. Ein Traum wäre eine Gesundheitsampel, bei der Grün bedeutet: „Alles in Ordnung, stell dich nicht so an.“ Gelb heißt dann: „Mach ein bisschen langsamer und versuch es mit Hausmitteln.“ Bei Rot sollte man zum Arzt gehen, idealerweise hat das System schon einen Termin gebucht und der Arzt hat die Daten auf seinem Bildschirm, damit er sich dem widmen kann, was im Mittelpunkt steht: der Gesundheit seiner Patienten.

Internet-Sport
Wir haben neulich in einer netten Runde über das Fitnessprogramm aus dem Fernsehen von früher gesprochen, als man den Frühsport „gemeinsam“ mit der auftretenden Fitnessgruppe gemacht hat. Heute gibt es ja mit dem Internet theoretisch die Möglichkeit, dass man wirklich miteinander Sport machen kann, ohne dass sich alle Teilnehmer für die Rückenschule an einem Ort treffen müssen. Da haben wir uns gedacht, dass wir sowas gerne mal machen würden: gemeinsam als Gruppe mit einem Lehrer zusammen einmal die Woche Stabilisationsübungen von zuhause – aber mit der Möglichkeit, den Lehrer vor der Übung Fragen zu stellen.

Zukunft auf Rezept
Bis dato habe ich noch nicht viel von dem Thema Telemedizin mitbekommen. Wie so oft werden innovative Ideen von der Politik – vielleicht aus Angst vor Veränderung – gerne zurückgehalten. Für mich als Patient ergeben sich wohl eher Vorteile als Nachteile und der Arztbesuch wird vereinfacht beziehungsweise verkürzt. Lange Wartezeiten trotz Termin könnten so auch der Vergangenheit angehören. Oftmals geht man aus diesem Grund ja gar nicht erst zum Arzt. Gerade wenn man eine Erkältung hat, kennt man den Krankheitsverlauf ja schon vorher und kann sich die Zeit sparen. Ich würde es begrüßen, wenn die Telemedizin diesen Prozess beschleunigen würde und wir nicht wieder als letzte von den Vorzügen einer ortsunabhängigen medizinischen Versorgung Gebrauch machen können. Denn wenn man krank ist, dann sollte man am besten im Bett bleiben.

Beschwerlicher Pfad
Ich hoffe wirklich sehr, dass mir die Telemedizin in naher Zukunft den umständlichen Arztbesuch ersparen kann. Nichts finde ich grauenvoller, als mich mit einer fiesen, aber dennoch ganz gewöhnlichen Grippe bei Wind und Wetter auf den Weg zum Hausarzt zu begeben und mich für oft länger als eine Stunde in ein schlecht gelüftetes Zimmer mit anderen wartenden, keuchenden, teilweise schwerkranken Patienten pferchen zu lassen, die mich womöglich mit Schlimmerem anstecken könnten. Und wenn ich dann endlich drangekommen bin, kann der Arzt sowieso nicht mehr tun, als mich für ein paar Tage krank zu schreiben und mir vielleicht noch die überflüssige Empfehlung auszusprechen, die üblichen rezeptfreien Pillen zu schmeißen. Das ginge auch per kurzem Videochat und mit viel weniger Aufwand. Die technischen Rahmenbedingungen sind schon längst gegeben. Ich kann nicht verstehen, warum eine zeitgemäße und effizientere Patientenversorgung nicht möglich ist und so viel diskutiert werden muss. In anderen Ländern ist man schon viel weiter.
Die helfende Hand
Der Einsatz von Robotertechnologie in der medizinischen Diagnose und Intervention unterstützt den behandelnden Arzt bei komplexen Prozeduren, beispielsweise in der minimalinvasiven Chirurgie. Ziel ist es, derartige Eingriffe einfacher für den Chirurgen und dabei sicher und schonend für den Patienten durchzuführen. Wir vom MIRO Innovation Lab im DLR-Institut für Robotik und Mechatronik forschen mit dem Roboterarm MIRO, den wir speziell für den Einsatz im Operationssaal entwickelt haben. MIRO ist ein Leichtbauroboter mit einem Eigengewicht von zehn Kilogramm. Es war uns bei der Entwicklung wichtig, dass MIRO in Aufbau, Größe und Beweglichkeit dem menschlichen Arm ähnelt. Dadurch kann er intuitiv, feinfühlig und sicher bedient werden und – direkt am OP-Tisch befestigt – dort assistieren, wo der Platz knapp ist. Zudem kann MIRO in vielen unterschiedlichen Bereichen der Chirurgie verwendet werden. Diese Vielseitigkeit und Flexibilität erreichen wir durch den Einsatz von spezialisierten Instrumenten und durch die Anpassung der Anwendungssoftware. Aktuell konzentrieren wir uns darauf, wie wir die Assistenz während realer Prozeduren verbessern können. Dabei arbeiten wir an wissenschaftlichen Fragestellungen, die sich mit der Digitalisierung des Operationssaals beschäftigen. Mit Partnern aus Kliniken und Industrie evaluieren wir neue robotische Technologien für den kurzfristigen Transfer in den OP zum Wohl des Patienten.

Arztbesuch? Nicht nötig
Zu meiner Schulzeit waren meine Eltern beim Thema „Krankheitsbedingter Ausfall“ sehr streng. Ich musste also schon richtig krank sein. Unter 38 Grad Fieber ging es rigoros zur Schule. An einen Arztbesuch aus dieser Zeit kann ich mich noch sehr genau erinnern. Ich hatte eine ordentliche Grippe und daher erstmal sehr lange ausgeschlafen. Mittags kämpfte ich mich zum Arzt, obwohl klar war, dass ich eigentlich nur ein paar Tage Bettruhe brauchte. Im Wartezimmer passierte dann das Unvermeidliche: Mein Zustand wurde innerhalb von 30 Minuten immer schlechter. Irgendwann schleppte ich mich aufs Klo und klappte fast zusammen, wobei mir der Wohnungsschlüssel aus der Tasche fiel. Als mein Körper kurze Zeit später wieder hochgefahren war, machte ich mich etwas frisch, setzte mich zurück in das Wartezimmer und kam auch ziemlich schnell dran. Die Behandlung beim Arzt ging dann ganz schnell, weil es ganz offensichtlich war: Ich hatte eine Grippe. Der Arzt verschrieb mir irgendein Rezept und verordnete Bettruhe. Vor der Haustür dann der Schock: Wo ist der Schlüssel? Ich schleppte mich zurück zum Arzt und fand den Schlüssel direkt neben der Toilette liegen – Glück gehabt. Was hat das mit der Telemedizin zu tun? Ich hoffe, dass solch unsinnige Arztbesuche in Zukunft nicht mehr nötig sind. Das Treffen aller Kranken im Wartezimmer können wir uns und den Helfern in den Praxen oft wirklich sparen.

Richtig dosiert
Im Sommer war ich mit Familie in Griechenland. Auf der Insel, wo wir zwei Wochen lang blieben, gab es keine einzige Arztpraxis. Man musste erstmal mit dem Auto zum nächsten Hafen, dann weiter mit dem Schiff und wieder mit dem Auto fahrend bis zur benachbarten Stadt Stunden verlieren. Der Vater meines Mannes leidet an schwerer Herzinsuffizienz und brauchte schnell Hilfe und Rat. Zum Glück hatten wir mit seinem Arzt telefoniert und dann einen Termin über Whatsapp vereinbart. Dieser „digitale“ Arztbesuch hat ihm nicht nur seelisch beruhigt, sondern auch echt geholfen. Eine leichte Veränderung in der Dosierung seiner Medikamente und am nächsten Tag ging es schon wieder gut. Es war ja, Gott sei Dank, kein schwerer Fall. Der Arzt hatte seine Patientendaten und konnte schnell agieren. Fernbehandlung sollte man ernst nehmen und richtig einführen.
Telemedizin wirkt
Telemedizin kann unser Leben unabhängiger und sicherer machen. Sie bringt Arzt und Patient trotz räumlicher Entfernung zusammen. So können Patienten unabhängig davon, ob sie in der Stadt oder auf dem Land leben, mit einem Arzt oder einem Therapeuten in Kontakt treten. Sie können gute Beratung erhalten und medizinische Werte wie ihren Blutdruck übermitteln und überprüfen lassen. Auch die Ärzte profitieren davon: Sie können ihre Fachkollegen hinzuziehen, wenn sie Spezialwissen benötigen. Telemedizin kann so Leben retten. Das hat eine klinische Studie der Charité eindrucksvoll belegt. Patienten mit Herzschwäche wurden darin telemedizinisch mitbetreut. Das Ergebnis: Sie lebten länger und verbrachten weniger Zeit im Krankenhaus als Patienten, bei denen keine Telemedizin eingesetzt wurde. Weniger Krankenhausaufenthalte und ein längeres Leben – an dem Ort, an dem man leben möchte. Dazu kann Telemedizin beitragen. Was sie nicht kann: den persönlichen Kontakt mit dem Arzt ersetzen. Dieser bleibt wichtig. Viele Anwendungen der Telemedizin sind bereits im Versorgungsalltag angekommen. Das Bundesforschungsministerium setzt sich mit seiner Förderung dafür ein, dass weitere Innovationen entwickelt und schnell in der Praxis eingesetzt werden. Im nächsten Schritt gilt es, dafür zu sorgen, dass diese telemedizinischen Anwendungen möglichst flächendeckend zur Verfügung stehen und so allen Patienten zugutekommen.

Alle profitieren
Telemedizin wird die Möglichkeiten der medizinischen Versorgung in bisher noch nicht quantifizierbarem Umfang erweitern. Sie wird Ärztinnen und Ärzten, aber auch ihren Patienten, mit Blick auf die Parameter Expertise, Zeit und Raum ganz neue Optionen eröffnen. Telemedizin überwindet Entfernungen und wird zeitnah auch dort (begrenzt) ärztliche Expertise ermöglichen, wo die Distanz zwischen Arzt und Patient größer geworden ist und noch größer werden wird. Sie wird dort nicht den Arzt ersetzen, sondern den Radius seiner Aktionsmöglichkeiten erweitern und Ressourcen effektiver nutzen. Telemedizin wird auch dem Patienten Wege eröffnen und seine Versorgung zuverlässiger machen – auch unabhängig von seiner Mobilität. Kurz gesagt: Die Präsenzmedizin, also das orts- und zeitgleiche Zusammentreffen von Arzt und Patient, kann nun auch von Prozessen unterstützt werden, die Zeit und Ort der Leistungserbringung voneinander trennen. Ein weiterer wichtiger Aspekt darf bei der Telemedizin nicht aus dem Blick geraten: Sie wird künftig dem behandelnden Arzt – oder zum Beispiel auch der Pflege – im gebotenen Einzelfall immer häufiger über alle ärztlichen Fachgruppen hinweg auch das kurzfristige Heranziehen spezifischen Fachwissens ermöglichen. Die Entscheidung, wann und in welchem Umfang telemedizinische Leistungen eingesetzt werden, sollte stets in der Verantwortung von Ärzten bleiben – gerne auch in Kooperation mit anderen Gesundheitsberufen.
Brücke in ferne Orte
Telemedizin ist ein sehr modernes Werkzeug. Aber wie eigentlich alle Werkzeuge kann auch die Telemedizin selber nichts. Ihr Potenzial liegt bei ihren Anwendern. In den Projekten von Ärzte ohne Grenzen sind die Ressourcen knapp und die Sicherheitslage ist oft angespannt. Wenige Ärzte müssen viele Patienten versorgen und die Krankheitsbilder sind vielfältig. Wir sehen Erkrankungen, die es in Deutschland nicht oder nicht mehr gibt. Die Behandlung von seltenen Tropenkrankheiten oder auch Tuberkulose wird plötzlich zur medizinischen Routine – und das bei Patienten jeden Alters, Lebensabschnitts und Umstandes, egal ob Neugeborene oder Kinder, Erwachsene oder Alte, Mangelernährte oder chronisch Kranke. Ohne die Möglichkeit vor Ort, besondere Fälle mit einem Spezialisten besprechen zu können, greifen wir mithilfe der Telemedizin auf ein internationales Netzwerk von mehr als 350 Kollegen zurück. Dazu gehören etwa Internisten und Kinderärzte mit einer besonderen Spezialisierung, zum Beispiel auf Infektionskrankheiten. 2.550 Mal konnten wir so im Jahr 2017 nicht nur den einzelnen Patienten, sondern auch den behandelnden Ärzten helfen. Denn nichts ist befriedigender und motivierender, als den Patienten ein guter Arzt zu sein. Dann lassen sich auch der wenige Schlaf, die heißen Nächte unter dem Moskitonetz und die hohe Arbeitsbelastung besser ertragen und man kehrt zwar müde, aber zufrieden aus dem Projekt nach Hause zurück.

Helfer in der Not
Meine Tochter war noch keine vier Jahre alt. Es gab noch kein Internet und auch noch keine Telemedizin, jedoch die „Telefonmedizin“. Am späten Nachmittag, wilde Aktion und zack, Arm der kleinen Wilden verdreht, Radiusköpfchen raus. Ich besorgt, quasi alleinerziehend, rufe abends meinen Spezl Adam an, Mediziner, 300 Kilometer weg. Er erklärt mir, was zu tun sei, ich übe mit meinen Händen, wiederhole, schlafe drüber. Morgens in der Garderobe bin ich der Mediziner und korrigiere den Arm meiner Tochter. Dann gehen wir unnötigerweise, aber eben „zur Sicherheit“ zum Arzt. Der fragt, warum wir denn hier seien. Telefonmedizin hatte Erfolg. Danke, Adam!
Sinnvolle Ergänzung
Was kann Telemedizin? Jetzt schon mehr als manche wissen. In Krankenhäusern mit ihren chronisch dünnen Personaldecken hilft schon seit Jahren die Teleradiologie. Bildgebende Untersuchungen wie Röntgen, CT oder MRT werden hierbei vom Radiologen nicht direkt vor Ort befundet, sondern, zum Teil komplett ausgelagert, von räumlich unabhängigen externen Auftragnehmern. Doch kann die Telemedizin auch für mich als Landarzt und meine Patienten hilfreich sein? Das kommt ganz stark darauf an, wie sie implementiert wird. Oberflächlich betrachtet verbessert sich durch den vereinfachten Arzt-Patienten-Kontakt der Zugang zur ärztlichen Versorgung. Doch ob sich die ärztliche Versorgung selbst verbessert und vereinfacht, bleibt offen und ist derzeit auch Diskussionsthema in der hausärztlichen Verbandspolitik. So lehnt die Mehrzahl der jungen Hausärzte einen rein digitalen Erstkontakt mit einem Patienten ab. Zu wichtig zur Entscheidungsfindung sind das Einbeziehen aller Sinne und die körperliche Untersuchung. Zudem steht die Frage im Raum, ob der niedrigschwellige Zugang zu ärztlichen Leistungen über digitale Wege nicht zur Vervielfachung der Patientenkontakte für den Arzt führt. Dies hätte, neben einer noch weiter sinkenden Attraktivität des Landarztberufs, dann doch wieder eine schlechtere individuelle Versorgung zur Folge. Die Telemedizin wird Einzug halten, wir müssen nur sehen, wie wir sie zum Wohle der Bevölkerung sinnvoll einsetzen.
Für Arzt und Patient
Die Telemedizin ist eine große Herausforderung für viele Ärzte in Deutschland. Viele Praxen sind am Rande ihrer Kapazität und können neue digitale Anwendungen nur schwer implementiert. Wir Pädiater nutzen das System des Telekonsils, das allgemeinärztlich tätige Kinder- und Jugendärzte mit pädiatrischen Fachärzten vernetzt. So kann ich bei Patienten, die sich mit unklaren Symptomen vorstellen, innerhalb von 24 Stunden die Meinung eines Experten einholen, um etwa eine Verdachtsdiagnose abzusichern oder eine Therapieempfehlung zu erhalten. Statt die Patienten zu überweisen, können wir in den meisten Fällen den Sachverhalt online klären. Das stärkt auch das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient und spart unnötige Arztbesuche. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Eltern diese neuen Angebote gerne nutzen. Aus meiner Sicht können telemedizinische Angebote nur dann erfolgreich sein, wenn sie asynchron funktionieren, also nicht alle Teilnehmer gleichzeitig online sein müssen. Viele der neuen digitalen Anwendungen richten sich aber nur direkt an den Patienten. Medizinische Algorithmen sollen den Arzt ersetzen, um Kosten einzusparen und sich von der ärztlichen Expertise unabhängig zu machen. Ich bin skeptisch, ob dieser Ansatz erfolgreich sein wird. Die Interaktion zwischen Arzt und Patient besteht eben nicht nur aus Zahlen und Fakten. Insofern muss die Digitalisierung im Gesundheitswesen von Ärzten mitgestaltet werden.

Daten in Gefahr
Ich stehe der ganzen Thematik doch äußerst skeptisch gegenüber. So ein Telearzt kann sich doch nicht ansatzweise vergleichbar um seinen Patienten kümmern und den Termin in der Praxis ersetzen. Der gläserne Patient, dessen Daten sicherlich auch irgendwo gespeichert werden, wäre zudem ein Schreckensszenario. Von Datendiebstählen hört man doch jede Woche.
Versorgung wird Alltag
Aus vielen Bereichen wie Diagnostik, Therapie und Rehabilitation ist die Telemedizin heute nicht mehr wegzudenken. Einige aktuelle Entwicklungen, beispielsweise die Lockerung des Fernbehandlungsverbotes, die Planung eines zweiten E-Health-Gesetzes oder das Gesetz zur Stärkung des Pflegepersonals, haben dazu geführt, dass die Telemedizin immer mehr in den Fokus aller rückt, die an der Gesundheitsversorgung beteiligt sind. Die DGTelemed trägt ihren Teil dazu bei, Akteure aus Politik und Wirtschaft, Versorgung und Wissenschaft zusammenzubringen, um die telemedizinische Entwicklung im deutschen Gesundheitswesen aktiv voranzutreiben. Die Zeit drängt, das Potenzial der Telemedizin für die Patienten konsequenter zu nutzen, denn telemedizinische Anwendungen werden in vielen medizinischen Feldern immer wichtiger. Was noch fehlt, damit Telemedizin im Versorgungsalltag ankommt, sind zum einen Anpassungen in der Vergütungsstruktur, damit etwa die Personalkosten in telemedizinischen Zentren der Krankenhäuser aufgefangen werden können. Zum anderen muss die Interoperabilität der Systeme – also ihre Fähigkeit, miteinander zu kommunizieren und Daten auszutauschen – dringend optimiert werden. Mit unseren Veranstaltungen wie dem Nationalen Fachkongress Telemedizin, der gerade zum neunten Mal stattfand, oder dem „Netzwerk Innovationsfondsprojekte“ möchten wir den Diskurs rund um die Entwicklungen in der Telemedizin weiter vorantreiben.
Digitale Lebensretter
Während in vielen Gesellschaftsbereichen der digitale Wandel deutlich erkennbar ist, sind die bestehenden politischen und rechtlichen Strukturen oftmals noch nicht für die digitale Realität ausgelegt. So findet auch die Gesundheitsversorgung in Deutschland für die Patienten noch weitestgehend analog statt. Wenn diese mit einer Grippe am liebsten im Bett bleiben würden, müssen sie die nächste Arztpraxis aufsuchen, um dort nach langer Wartezeit persönlich einen ausgedruckten Krankenschein entgegenzunehmen. Während die Digitalisierung administrativer Prozesse also schon spürbare Mehrwerte schaffen würde, kann die Telemedizin Leben retten. Ein Potenzial, das inzwischen auch die Ärzteschaft erkannt hat: Auf dem Deutschen Ärztetag wurde in diesem Jahr beschlossen, eine ausschließliche Behandlung aus der Ferne grundsätzlich zu ermöglichen. So können etwa Patienten mit chronischen Herzerkrankungen durch die Fernüberwachung ihrer Vitaldaten vor schweren kardiologischen Ereignissen bewahrt werden. Damit telemedizinische Leistungen zur Selbstverständlichkeit werden, müssen zügig entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden: Ärztinnen und Ärzte müssen bereits in der Ausbildung im Umgang mit telemedizinischen Möglichkeiten geschult, die Leistungskataloge der Krankenkassen angepasst und die Patienten über ihre telemedizinischen Optionen informiert werden. Sicher ist: Telemedizinische Versorgung wird künftig die Gesundheitsversorgung prägen.
Jens Spahn, Bundesminister für Gesundheit